Eine rasende Bison- Herde stoppt keiner
Diese Unbezwingbarkeit ist es auch, was den 70-jährigen Wiesheu an seinen Tieren so fasziniert. „Hier hat kein Mensch seine Finger mit Züch- tung im Spiel gehabt, nichts ist gen- technisch verändert, nichts domestiziert“, blickt der Metzgermeister und Jäger auf seine Herde. 60 Muttertiere dürfen heute mit ihren jungen, zimt- farbenen Kälbern, das jüngste gerade mal einen Tag alt, zum ersten Mal auf die grüne Wiese. Sie machen ein paar Bocksprünge und Wettrennen, ansonsten senken sie ihre Nasen und Mäuler tief in das frische Gras. Ohne von den Menschen Notiz zu nehmen ziehen sie gemeinsam über Wiesheus große Weide. Abgesehen von ein paar erdigen Grunzern, die dem eines Schweines ähneln, ist nichts zu hören. „Ein Bison muht nicht“, erklärt Wiesheu, „und kann sich aufgrund seines hohen Rists auch nicht rollen.“
Aber selbst wenn sie so friedlich und vermeintlich unbeteiligt grasen – „wenn Kälber dabei sind, sollte man sich ihnen nicht nähern, vor allem auch seinen Hund nicht frei laufen lassen. Denn wenn sie mal loslaufen, dann hält die keiner mehr auf“, warnt Wiesheu. „Aber prinzipiell sind sie sehr brav und extrem scheu.“
Einzigartige Tiere
Obwohl seine Tiere keine Namen ha- ben und er die Individualität der Tiere „nur“ über die Ohrmarken kennt, fühlt Wiesheu eine tiefe Verbindung zu ihnen. Teils ist es die Ehrfurcht vor dem gewaltigen Ur-Tier mit seinem unbeugsamen Willen, das sich bisher eben nicht dem „Willen des Menschen unterworfen hat“. Aber es ist auch die Widerstandsfähigkeit gegen Wind und Wetter sowie die stoische Ruhe und Gelassenheit, die die Tiere ausstrahlen, was nicht nur ihn beeindruckt. Das alles lässt sich am besten in dem Wort „einzigartig“ ausdrücken. Die vom Bison ausgehende Faszination ist verständlich, denn er ist ja nicht gerade unser europäisches oder gar deutsches „Wappentier“, sondern ein typischer Amerikaner oder Kanadier, wo er – wie man es eben aus Kino-Filmen kennt – in großen Herden auf riesigen Flächen weidet.
Die Natur kümmert sich selbst
Dass sich ein Bison nicht nur auf den unendlichen Weiten Nordamerikas wohl fühlt, beweist Wiesheu. Bei ihm in Sickenhausen stehen sie seit mittlerweile 24 Jahren. Er ist der größte Bisonzüchter Deutschlands: die weiblichen Tiere gehen in die „Zucht“, die „Männer“ werden in seiner hofeigenen Blockhaus-Metzgerei zu Steaks, Filet, Wurst und Gulasch „verarbeitet“ oder an Gastronomen verkauft. Jedes Tier wird komplett verwertet, die Vermarktung erfolgt überwiegend direkt von Wiesheu. Seine Hof-Metzgerei hat nur drei Tage in der Woche geöffnet, aber der Kundenkreis ist groß und kommt von weit her. Bison-Fleisch ist zwar gut vier Mal so teuer wie hochwertiges Rindfleisch, jedoch steht der Preis auch für höchste Qualität. Wiesheus Tiere werden ausschließlich mit von ihm selbst produziertem Heu gefüttert oder genießen das saftige, von Luzernen durchsetzte Grün der eigenen Wiesen. Kraftfutter, Soja, Antibiotika oder Penicillin sind absolute Fremdwörter. Die Tiere leben so natürlich wie eh und je, da gilt für Wiesheu das Prinzip, dass sie „es von alleine schaffen oder eben nicht“. Bisher haben es alle geschafft! Das sind eben Natur-Tiere und nichts Über- oder Hochgezüchtetes, das man dann mit allen mögliche medizinischen Tricks gesund halten muss.“ Er werde sich hüten, hier einzugreifen.
Schlachten mit dem Gewehr aus 80 Metern
Seine Zuchttiere befinden sich das ganze Jahr draußen, dafür sorgt ein großer Offen-Stall. Ein trockener, kalter Winter, das sei das perfekte Bisonwetter. Gegen die Inzucht importiert Wiesheu regelmäßig neue Bullen aus Kanada, drei Bullen „betreuen“ in der Brunftzeit im Juli und August die Herde. Die Zucht erfordert Erfahrung und Geduld. Zwar sind Bisons viel anspruchsloser als jedes Rind bezüglich Weidequalität und Temperaturen, dafür erfordern die bis zu 1,2 Tonnen schweren Tiere einen extrem stabilen Zaun und langmütige Halter. Es dauert deutlich länger als bei der Kuh, bis ein Bison sein Schlachtgewicht erreicht. „Gut sieben Minuten nachdem zum ersten Mal die Beinchen bei der Geburt herauskommen, steht das Junge auf ihnen.“ Es bleibt bis zu neun Monate bei der Mutter, dann trennt Wiesheu sie, damit die Mama erneut trächtig werden kann. Die „Mädchen“ verkauft er an andere Züchter ins internationale Ausland, die Bullen bleiben noch bis zu 24 Monate unter sich. Nach drei Jahren sind sie schlachtreif.
Auch das Schlachten gibt Wiesheu nicht in fremde Hände. Er ist Jäger und schießt sein Tier aus 80 Metern Entfernung mit dem Gewehr auf der Weide. Das ist im Gegensatz zu unseren Schlachthöfen völlig stressfrei für die Tiere, auch wenn es ihm „jedes Mal weh tut, solch‘ einem tollen Tier das Leben zu nehmen. Aber ich habe noch nie einen zweiten Schuss gebraucht.“ Interessant ist dabei, dass der Herde das Schießen und Umfallen des Kollegen „nichts ausmacht“. Sie nehmen keine Notiz von dem leblosen Tier, laufen auch nicht weg.
Das Naturvieh
Den Grundstock für seine Herde legte Wiesheu im Jahr 1995. Er arbeitete einige Jahre in Kanada und holte die ersten Bisons mit nach Bayern. Abenteuerlich sind seine Erzählungen, wie er die 95 Tiere in Trucks von Calgary nach Montreal fuhr, dort in den Flieger nach Paris verfrachtete und dann weiter mit dem Lkw zu sich auf den elterlichen Betrieb nach Sickenhausen brachte. „Ob das überhaupt klappt mit den Bisons war keinem klar. Ich hatte weder eine Markterkundung noch Abnehmer. Aber ich bin der Typ, etwas auszuprobieren und zu wagen.“ Irgendwie ähnelt Wiesheu seinen Tieren, er erscheint ebenso „unverbiegbar“ wie sie, hat eine Vision, geht seinen Weg.
Scheu und kraftvoll
Mögen sie auch noch so flauschig mit ihrem dicken Fell daherkommen – Bisons sind keine Kuscheltiere und können auch nicht wie „normale“ Rinder gehalten werden. Der Einzug der Bisons auf Wiesheus Hof bedurfte massiver Veränderungen des elterlichen, auf Milchvieh, ausgerichteten Betriebs. „Die Tiere sind extrem scheu, lassen keinen an sich oder ihren Nachwuchs heran. Wenn Du es schaffst, dass Du an ein Kalb herankommst oder es gar fängst, dann schenke ich es Dir“, fordert er mich auf. Die Tiere brauchen aufgrund ihrer Unbezähmbarkeit und der unglaublichen Kraftentwicklung eine massive Einzäunung. „Die Gestänge müssen mit Planen dicht gemacht werden, damit sie sich nicht verletzen.“ Die Fanganlage zur Markierung der Kälber hat Wiesheu aus Kanada importiert, von den dortigen Züchtern hat er sich auch so einiges ab- geschaut und dann in Sickenhausen nachgebaut.
Die Delikatesse
Zugute kommt ihm beim Vermarkten der Bison-Produkte, dass er gelernter Metzger ist. „33 Jahre hatte ich aller- dings mit dem Beruf nichts am Hut“, sagt Wiesheu. Sein Geld verdiente er in der Lebensmittelindustrie. Mit dem Bison jedoch fand er wieder zurück zu seinen Wurzeln. „Heute stehen die Kunden und Abnehmer Schlange nach meinem Fleisch. Der Bison trägt das Geschäft.“ Natürlich war auch eine Portion Glück dabei, als eine Landmaschinen-Fachzeitschrift einen Bericht über seine „Exoten“ veröffentlichte, da konnte er gleich 30 Zuchtkälber in die Nähe verkaufen. Später gingen dann 70 nach Bulga- rien und so nahm die Bison-Erfolgsgeschichte ihren Lauf. Bison-Fleisch gilt als absolute Delikatesse, wurde viele Jahre beim Schottenhammel auf der Wies’n verkauft. Und auch die Top-Gastronomie zählt zu Wiesheus Kunden. „Butterweich und kräftig im Geschmack, irgendwo zwischen Rind und Wild“, so schwärmt Wiesheu selbst vom Geschmack. Und weil er keinerlei Spritzmittel auf seinen Weiden einsetzt kann er mit Fug und Recht behaupten: „Mehr Bio als Bison – das geht gar nicht!“
Ein Bison wird bis zu 40 Jahre alt, die Tragezeit beträgt neun Monate, ein Kalb pro Jahr kommt auf die Welt. Zuchtbullen wiegen bis zu 1.200 Kilogramm (etwa so viel wie große Stiere). Vom Kopf bis zum Hintern misst ein Bisonstier etwa drei Meter, ist bis zu 1,90 Meter hoch (damit ist der Stier deutlich länger und höher, aber auch schlanker als eine männliche Kuh). Der Geschmack des Fleischs „liegt zwischen Rind und Wild“, ein zwischen 26 und 30 Monate alter junger Bulle bringt, abzüglich Fell, Gedärmen und Innereien, bis zu 330 Kilo an dem Haken. Das Fleisch ist besonders mager, hat nur rund drei Prozent Fettanteil und weist kaum Fetteinlagerungen auf. Zudem ist Bisonfleisch cholesterinarm, reich an Eiweiß, Eisen, Selen und Zink und hat einen hohen Wert an Vitamin B.
www.hofmetzgerei-wiesheu.de