Das grobe Schleifpapier rast ziemlich schnell und einem lauten Sirren vor ihm vorbei, Funken stieben auf. Trotzdem trägt der Messermacher keine Handschuhe. „Sonst habe ich doch kein Gefühl in den Fingern!“ Das braucht er aber, um den gerade frisch zugeschnittenen, noch groben Stahl-Rohling an die Linie anzunähern, die er mittels Reißnadel entsprechend seiner Form eingeritzt hat. Allerdings gesteht er ein, dass es ihm, wenn er hier abrutscht, „einen sauberen Fetzen vom Daumen reißt.“ Das ist Mehmedalija Rakovac (47) offensichtlich länger nicht mehr passiert, denn seine Finger sehen alle unversehrt aus.
Das Fuhrmannsbesteck
Geboren wurde der optische Ur-Bayer in Bosnien-Herzegowina, kam mit 18 Monaten nach Deutschland. Dort ist er aufgewachsen, hat Heizungs- und Metallbauer gelernt, lebt seit 25 Jahren in Taufkirchen. „Ich liebe den Werkstoff Metall, schon immer“, sagte „Mehme“ voll Überzeugung. Heute arbeitet er für einen optischen Betrieb als Feinmechaniker, baut filigrane Mess- und Optikgeräte. Seine Hobbies sind Goaßlschnalzen – und Messermachen. Beides hängt ganz eng miteinander zusammen. „Als ich vor vielen Jahren mit dem Schnalzen anfing, da sah ich, dass fast einige meiner Kollegen ein Fuhrmannsbesteck hatten, bestehend aus Messer, Gabel und Wetzstahl – eben so, wie es ein alter Fuhrmann, der ja mit seiner Peitsche die Pferde lenkte, haben muss. Das wollte ich auch, doch die waren mit 400, 500 Euro einfach sauteuer für mich. Das war zu viel, also begann ich meine Messer selber zu bauen“, erklärt der Mehme.
Eingelesen und learning by doing
Vor sechs Jahren baute Rakovac sein erstes Messer. In Büchern und im Internet las er sich zunächst theoretisch ein, wie das geht mit den Formen, Griffen und Lederscheiden aus dem 18. und 19. Jahrhundert. „Der erste Schritt war es, guten Stahl zu finden, ich hatte da ja noch wenig Ahnung. Aber der beste ist Werkzeugstahl, gehärtet und daher sehr stabil. Meine ersten Maschinen zur Bearbeitung waren eine Eisensäge, Feile und ein alter Schleifbock“, erinnert er sich. Ein altes Messer, das ihm gefiel, diente als Form. Mit der Reißnadel übertrug er die Maße auf das grobe Stück Stahl, ein Schneideisen aus einer Silofuttermaschine. „Mit der Säge habe ich versucht möglichst nah ran an die eingeritzten Striche zu sägen.“ Dann näherte er sich mit der Schleifmaschine ganz langsam immer weiter an. Mit viel Gefühl und daher eben ohne Handschuhe. „Es dauerte lange, bis ich meine gewünschte Form erreicht hatte. Doch das Stück war natürlich noch viel zu dick für ein Messer, fast fünf oder sechs Millimeter – und ein Messer hat ja nur zwei bis drei“, sagt der Messermacher. Nun begann also das langsame, abwechselnde Schleifen und Entgraten. Schleifen zunächst mit ganz grober Körnung, dann immer feiner, bis auch die Schneide herausgearbeitet war.
Vorsicht beim Härten
Es folgte das Härten. „Auch da hatte ich ja nur wenig Ahnung und Erfahrung, jeder Stahl-Typ braucht nämlich eine ganz andere Temperatur und Zeit. Ich besorgte mir einen Elektro-Töpfer-Ofen, ohne zu wissen ob dessen Temperatur ausreicht.“ Erst später, beim dritten oder vierten Messer, stellte Mehme fest, dass dieser Ofen nur knapp über 800 Grad schaffte, notwendig sind aber zum Teil bis zu 1100 Grad. „Ist der Stahl nach etwa einer Viertelstunde rotglühend muss man ihn abschrecken in Öl. Beim ersten Mal klappte das super, beim zweiten Messer aber zerbrach der Rohling. Ob das Öl zu kalt war oder der Stahl fehlerhaft – keine Ahnung. Jedenfalls waren damit viele Stunden Arbeit auf einen Schlag zerstört.“ Heute weiß er, wie er mit welchem Material umgehen muss. Damit er es nicht vergisst, hat er es sich mit dickem Filzstift auf ein Brett über seinen Öfen gemalt. Nach dem Abkühlen im Öl muss der Stahl entspannen, denn durch die Hitze und das Öl ist die „Seele“ zwar extrem hart, aber auch sehr spröde, ein leichter Schlag auf eine harte Kante würde den Messerrohling sofort zerspringen lassen. „Zum Entspannen muss das Teil zwei Mal bei 180 bis 300 Grad in einen normalen Ofen, dann ist der Stahl wirklich hart und unzerbrechlich.“ Allerdings ist das Stück nun auch kohlrabenschwarz von der Ölschlacke. Das heißt, der Messermacher muss es wieder mit verschiedensten Schleifpapieren säubern und blank polieren. „Der ganze Zunder muss runter!“, fasst es Rakovac zusammen. Mit seinem ersten Messer war er eigentlich ganz zufrieden und bei jedem neuen Stück – zwischen drei und acht fertigt er im Jahr – bekam er mehr Routine und Finesse.
Viele Stähle und noch mehr Griff-Materialien
Die ersten Messer machte er nur für sich, irgendwann wollte ihn ein Schnalzer-Kollege etwas aufziehen und fragte, ob er denn schon wieder ein neues Fuhrmann-Besteck für seine eigene Sammlung fertiggestellt habe. „Erst da kam ich auf die Idee, dass ich die auch etwas verkaufen könnte.“ Immer häufiger erhielt er Anrufe von Jägern, Fischern, Trachtler-Freunden oder einfach nur Messer-Sammlern. Jeder wollte ein eigenes Design, der Stahl sollte bei jedem etwas anders sein. „Der Jäger will damit auch mal hacken oder etwas sehr Hartes durchtrennen, ein anderer will damit schnitzen, der nächste essen oder es einfach nur anschauen.“ Im Laufe der Jahre besorgte sich der Messermacher die verschiedensten Stähle: Damast, ‘zigfach gefaltet und mit faszinierendem Muster, Carbon- oder Werkzeugstahl in den unterschiedlichsten Qualitäten und Preisklassen.
Dann fehlt für das perfekte Messer natürlich noch der Griff. Auch hier hat sich Rakovac mittlerweile ein tolles Sortiment angeschafft: Kamelknochen, Mufflon- und Kuh-Hörner, Wildschwein-Zähne, Hirschgeweih, Mammut-Elfenbein, Eiche, Apfelbaum, Olivenholz, Cocobolo, PangaPanga, Wüsteneisenholz, Buchsbaum oder schwarze Mooreiche. Alle sind unterschiedlich hart, verschieden gefärbt und variieren sehr im Preis. Zersägt in zwei Hälften, dann plan geschliffen, auf den Messer-Rohling gehalten, schließlich je nach Modell zwei bis vier Löcher gebohrt für die Metallstifte, die quer durch das Griffmaterial und den Stahl führen. Sorgfältig werden die Griffe nun mit Spezialkleber auf dem Griffteil des Rohlings fixiert. Trocknen – und natürlich wieder schleifen, bis alles plan ist und perfekt in der Hand liegt. „Auch bei den Griffen musste ich schon viel Lehrgeld bezahlen, das Material ist oft porös. Mammut-Elfenbein kostet eine Stange Geld, wenn man da zu schnell bohrt, zu weit schleift, bricht ein Stück ab – kaputt!“, lacht Mehme.
Es soll ein Hobby bleiben
Es sind die vielen kleinen Einzelschritte, die das Messermachen so zeitaufwändig und teuer machen. Dazu die hochwertigen Materialien, das ist ihm wichtig. „Vom Entwurf bis zur Fertigstellung mache ich alle Arbeiten selber. Nur den Stahl lasse ich mir anfertigen oder sogar schmieden, so kann ich sicherstellen, dass alle Arbeitsschritte mit der größtmöglichen Sorgfalt durchgeführt werden.“ Auch auf spezielle Kundenwünsche kann er so eingehen. „Ganz schnell geht‘s daher nie!“, betont Rakovac. Vier bis acht Wochen ist die normale Wartezeit, es gab aber auch schon Jahre, da mussten die Interessenten, die alle über Mundpropaganda zu ihm kommen, auch mal sieben Monate warten mussten. „Es ist ein Hobby und soll auch eines bleiben, trotzdem will ich so schöne und gute Messer wie nur möglich bauen!“ Seine große Holzkiste mit Glasdeckel mit zehn, zwölf unterschiedlichen Messern und kompletten Bestecken ist daher auch nur dafür da, dass sich Interessenten von seiner Arbeitsweise überzeugen können, mehr nicht. „Verkaufen tu ich davon keines, ich bau‘ aber jedem sein eigenes!“ Das kostet dann zwischen 280 und 700 Euro.
Es fehlen noch die Initialen und die Scheide
Zahlreiche Messer-Formen hat er sich gefertigt, dazu neue Maschinen gekauft und eigene gebaut, Halterungen, Schalen, Zangen, die es nirgends zu kaufen gibt. Und immer wieder passiert es noch, dass ihm was total schiefgeht, er eigentlich fertig ist, ihm aber Form, Schneide oder Griff überhaupt nicht passt. „Dann werfe ich es in die Ecke und gehe eine Woche nicht in die Werkstatt, so sauer bin ich dann auf mich.“ Aber wenn alles passt, dann ist sein Messer erst dann fertig, wenn er die Klinge ultrascharf geschliffen und mit dem Schlageisen seine Initialen in den Stahl gedroschen hat, knapp vor die Griffschalen. Komplett ist das Fuhrmannsbesteck erst mit Gabel und Wetzstahl – und alles gemeinsam in einer schönen Lederscheide. „Auch die mache ich komplett selbst, habe dafür ein Lager mit den unterschiedlichsten Ledern, die ich zuschneide, vernähe, punziere und verziere, ganz wie es der Kunde wünscht.“
Mit glänzenden Augen
Zum vereinbarten Übergabetermin wickelt Rakovac seine Messer und Bestecke immer in ein Tuch ein. Ihm tut es jedes Mal fast weh, wenn er sein Stück, an dem er so lange und intensiv gewerkelt hat, weggibt. Jeder Kunde muss daher auspacken. „Für mich ist dieser Augenblick am schönsten, wenn mein Kunde das eingewickelte Messer ausrollt, zum ersten Mal in der Hand hält und ich die Freude und das Glänzen in seinen Augen sehe. Da weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe“, sagt der Messermacher stolz. Einer fing mal so richtig zum zittern an und sagte: „Darauf habe ich mich ein Jahr intensiv gefreut – Mehme, das ist einfach nur toll!“ Aktuell hat er drei Aufträge für „Schnackelmesser“, die er bauen soll. „Das ist der große Trend, doch das ist für mich noch ein bisschen Neuland, so ein Klappmesser. Aber auch da werde ich mich reinfuxen. Denn: Ohne Schneid koa Freid!“
Mehr infos: www.messer-rakovac.de