Leben unter der Autobahn-Brücke
Der Widerstand gegen die A94 ebbt auch nach der Eröffnung am 30. September nicht ab. Seit 35 Jahren kämpfen die Gegner um den Erhalt der Natur des Isentals, nun wollen sie sich mit den Folgen, dem infernalischen Lärm, nicht abfinden.
Die 33 Kilometer zwischen Pastetten und Heldenstein kosten mindestens 440 Millionen Euro, jeder Meter also 13.500 Euro. Vielleicht sind es aber auch 770 Millionen Euro, wie im Bericht des Bundesverkehrswegeplanes 2030 unter Gesamtinvestitionen steht. Die Autobahndirektion Süd nennt keine explizite Zahl, sondern Gesamtkosten von 1,1 Mrd. Euro, in dem auch die Betriebs- und Instandhaltungskosten von Forstinning nach Markl enthalten sind. Nebulöse Aussagen, Unklarheiten, Zahlen-Jonglage oder Verschleierungstaktik – doch selbst für 13.500 Euro pro Meter darf man doch eigentlich so Einiges erwarten. Vielleicht nicht gerade einen „roten Teppich“ drauf, aber zumindest den aktuellsten, modernsten Stand der Technik. Das wird von den Verantwortlichen auch so behauptet, die Kritiker sind der Überzeugung, dass dies nicht stimmt. Auch den Lokalpolitikern aus Dorfen und dem Landkreis dämmert angesichts des massiven Protests der Anwohner, dass da einiges nicht in Ordnung ist: Diejenigen, die neben und unter der Brücke leben, haben nun ein ständi ges Rauschen, ein Rattern der Räder rund um die Uhr zu ertragen. Kastulus Grundner aus Lappach kann keine Zeitung mehr auf der Terrasse lesen, Sabine Koch aus Kloster Moosen steht um vier Uhr morgens wegen der Raser im Bett. Es höre sich an, wie ein nasser Finger über dem Weinglas, sagt ein Lappacher Bürger. „Wir können wegziehen oder uns erschießen“, meint die Oberhaus-mehringerin Angelika Berger. „Das schlimmste ist, das bleibt so für den Rest unseres Lebens“, fügt Isolde Freundl hinzu. „Wir wurden vom Paradies in die Hölle geschleudert.“
David gegen Goliath
Es war von Anfang an ein Kampf David gegen Goliath, Bürger gegen CSU-Politik. „Mia san Mia – und mia san die Mehra!“, so agierten alle CSU-Politiker, bis vor acht Jahren der Hammerschlag des Bundesverwaltungsgerichts grünes Licht für den Bau gab. Nur zufällig der gleiche Richter wie schon beim Flughafenbau?
Doch jetzt plötzlich, als der Widerstand gegen den Krach erneut aufflammt, werden auch die CSU-Granden so kurz vor den Kommunalwahlen zu kritischen Autobahnbeobachtern. Jetzt geht es um Tempolimits, bessere und höhere Lärmschutzwände, eine Verbesserung des Asphalts. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung wäre die einzige Sofort-Maßnahme, die eine schnelle Linderung des Lärms bringen könnte. Dass der Bundestag vor wenigen Wochen eine generelle Limitierung auf Tempo 130 auf allen deutschen Autobahnen ablehnte, ist da natürlich ein herber Schlag ins Kontor. Heiner Müller-Ermann, von Beginn an der Frontmann des Widerstandes, zweifelt darüber hinaus an, ob wirklich ein richtiger Flüsterasphalt verbaut wurde, „denn der kostet deutlich mehr.“ Ein Schelm, der Böses denkt, aber vielleicht ist den Bauherren ein günstiger Pfusch ja lieber als ein anständiger, aber teurer Bau?
Ein Hotspot bar jeglicher Vernunft
Maria Numberger (30) wohnt nur etwa 50 Meter entfernt von der neuen Schnelltrasse, in Lindum. Sie steht mit einem Schall-Messgerät in ihrer Hofeinfahrt, „53 Dezibel waren es am Mittwochmorgen um halb sieben, 65 dB am Sonntagmittag.“ Beide Werte liegen zwar innerhalb der gesetzlichen Immissonsgrenzwerte für Dorfgebiete. „Aber das sind viel zu hoch angesetzte Werte“, schimpft Numberger, die sich vor allem um ihren knapp dreijährigen Sohn Vinzenz sorgt. Für Martin Geilhufe, Landesbeauftragter des Bund Naturschutz, ist die A94 ein Hotspot verkehrter Verkehrspolitik“, sagt. Alle Betroffenen entlang der Trasse sind sich einig: Das ist kein Schutz gegen Lärm, es wurde eine billige, laute Straße gebaut.
Und wie geht’s weiter?
„David“ macht weiter, die Bürger sammeln Unterschriften und rücken der Politik auf den Pelz. Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) ist, „um das Wohl der Bürger zu schützen“, bei seinen Parteikollegen in München bereits vorstellig geworden, fordert als Sofortmaßnahme eine flächendeckende Geschwindigkeitsbegrenzung auf mindestens 130 km/h. Er beauftragte sogar ein eigenes Lärmgutachten, das unter anderem die Zahl der Fahrzeuge und Berechnungen für neuralgische Punkte beinhalten soll. „Wir konnten den Bau der A94 nicht verhindern. Das ist aber kein Grund, dass wir nicht weiter machen mit unserem Protest!“, sagt Müller-Ehrmann.