Von Montag bis Samstag drängen sich die ersten Kunden bereits um kurz vor sechs in den gemütlichen Verkaufsraum am Lengdorfer Kirchenplatz, decken sich ein mit Butter- und Frischkäsebrezn, belegten Semmeln und Baguettes, Seelen, Croissants oder Zelten. „Am Samstag warten die ersten schon, bis wir das Rollo hochziehen – und dann geht’s ab!“, lacht Christine Bauer. Sie betreibt mit ihrem Mann David Hanus seit knapp zwei Jahren die Bäckerei „brotwuid“. In der ist alles anders als in den Aufbackläden, die einer nach dem anderen öffnen und schließen. Bei brotwuid ist wirklich alles selbst- und handgemacht, es wird nichts aufgebacken – und es schmeckt einfach nur geil. „Wenn die Brezn oder das Baguette am Samstag um halbe zehne aus sind, dann sind sie eben aus! Ich hab‘ nix eingefroren und meine Gär- und Ruhezeit ist viel zu lang, als dass ich da schnell mal was nachbacken kann. Will ich auch gar nicht: Frisch, handgemacht, g‘schmackig – und abends bleibt möglichst nichts übrig“, sagt David voller Überzeugung. Der Erfolg bei den Kunden, die mittlerweile aus dem ganzen Landkreis kommen, gibt ihm Recht.
DER NIEDERGANG DER BÄCKER-BRANCHE
Die deutschen „Bäcker“ werden immer weniger und immer größer. Gab es 1960 im alten Bundesgebiet noch über 55.000 Handwerksbäckereien, sind es heute nicht einmal mehr 11.000, dafür hat jeder statistisch vier Verkaufsfilialen und 25 Mitarbeiter. Im Landkreis Erding gibt es nur noch 20 selbstständige Bäcker, doch auch sie setzen auf immer mehr Verkaufs-stellen, verwenden vermehrt Backmischungen und Tiefkühl-Rohlinge, die sie nur noch aufbacken. Viele meinen, sie müssen Gaststätten oder Tankstellen Paroli bieten und bieten nicht nur belegte Semmel, sondern ganze Mahlzeiten mit einer umfangreichen Getränkeauswahl an. Damit werden sie den Backshops und Discounter-Großbäckereien immer ähnlicher. Keine Innovationen mehr! Mit einer klassischen „Handwerksbäckerei“ hat das nur noch wenig zu tun – da gehen die Kunden eben gleich zur Tanke oder zum Discounter und der nächste Bäcker schließt zu.
ODER EBEN EIN KLASSISCHER HANDWERKS-BÄCKER
Einen völlig anderen Weg geht daher David Hanus (37), Oberösterreicher, aufgewachsen in Dorfen, schon der Opa war Bäcker. „Ich wusste schon immer, dass ich nur Bäcker werden kann“, grinst der sympathische Naturbursche. Gelernt hat er in Dorfen, danach lernte er die perfekte Herstellung von Blätterteig und vor allem die Geheimnisse der Baguette-Herstellung bei einem französischen Bäcker in Moosinning. „Ganz wenig Hefe und ganz viel Zeit – dann geht das Baguette perfekt auf, ist resch und duftet sagenhaft“, schwelgt David, während er die langen Teigzigarren vorsichtig von ihrem Nachtlager zwischen zwei Tüchern mit einem Holzbrettchen auf das Backblech rollt. Vier Einschnitte, ein bisschen Mehl drüber und ab in den Ofen. „Wecker stelle ich mir schon ab und zu, aber eigentlich hab‘ ich das im Gefühl bei den Brezn, Semmeln oder Baguettes, wann die fertig sind, da kann ich keine genaue Minutenangabe machen.“
VOM ERSTEN TAG AN VON DEN KUNDEN GELIEBT
Irgendwann war er nicht mehr zufrieden, er wollte sein eigenes Ding machen. „Ich wollte die Produkte und Abläufe selber gestalten, das war als Arbeitnehmer nicht möglich“, schildert Hanus. Der Zufall kam ihm in seinem neuen Wohnort Lengdorf, wohin er mit seiner Christine gebaut hatte, zu Hilfe. Die traditionsreiche Backstube am Kirchenplatz, seit 1989 von Robert Angermeier geführt, suchte einen Nachfolger. „Wir waren uns schnell einig, im Januar 2018 sperrte der Robert zu, dann haben wir sechs Wochen umgebaut und Ende Februar 2018 unter neuem Namen wieder eröffnet.“ Eigentlich wollten sie es ganz langsam und ruhig anlaufen lassen und ihre neuen Abläufe überprüfen. „Aber von Anfang an ist es bei uns vogelwuid zugegangen“, erzählt Christine. Dank der großartigen Unterstützung unserer Familien, der beiden Angermaiers und der Mitarbeiter konnten sie den enormen Ansturm der Kunden aus Lengdorf und Umgebung bewältigen. Neben dem außergewöhnlichen Namen legen sie viel Wert legt auf das Details wie das Design mit hohem Wiedererkennungswert. „Die Leute sollen an unseren Tüten erkennen, wo Brot und Semmeln gekauft wurden“, sagt Christine.
DAS SENSATIONELLE ISENTALER BROT
Überzeugen wollen sie mit einer klassischen Bäckerei mit bairischen, französischen und österreichischen Komponenten: Brezn – alle handgeschlungen und – und Semmeln, Baguette, Croissant, schwäbische Seelen aus Dinkelteig, Kuchen und
süße Stückchen, natürlich ganz viele Körnersemmel, denn Körner liegen im Trend. Die Schmalzgebäcke Schuxn und Hauberlinge, die Spezialitäten der vorigen Bäckerei, werden auch weiterhin am Dienstag und Freitag von Robert Angermaier gemacht. Dazu aus Davids Heimat die Zelten, ein österreichisches Schüttelbrot. Und beinahe jeden Monat wird ein neues Brotrezept ausprobiert. Aber so wirklich außergewöhnlich vom Geschmack, Geruch und Form ist das „Isentaler“. Das ist Davids persönliches Rezept und Lieblingsbrot. „Die Verbundenheit mit dem Isental und der Natur haben dieser Spezialität den Namen gegeben. Ich wollte ein richtig würziges Brot machen, das ging mir lange im Kopf herum, ich habe es immer wieder mal privat für Feiern gebacken. Jetzt mache ich es im großen Maßstab“, sagt er stolz. Geplant war es nur als Variante mit Brotgewürzen, von denen er lediglich Koriander und Brotklee aus vielen anderen preisgibt. „Einige wollten es auch ohne – doch nur mit den Gewürzen, da ist es eben die Besonderheit!“ Roggenmehl-Sauerteig, lange Ruhe- und Gärzeit, gebacken wird es ausschließlich in großen 2,5 Kilo-Laiben und natürlich direkt auf dem Steinofen, ebenso wie die Brezn, nicht auf einem Blech. Wenn das Brot fast fertig ist, nimmt David es aus dem Ofen, lässt es wieder ruhen und backt es noch einmal kross. „Die großen Laibe werden viel rescher und halten länger frisch, sind deutlich bekömmlicher und schmecken besser“, erklärt der Bäckermeister. „So kann man unser Brot auch nach einigen Tagen immer noch genießen, da ist nichts ausgetrocknet“, bekräftigt Christine. Jeden Tag backt David mindestens zehn der Riesen-Laibe, „dafür, dass ich eigentlich nur „klein, aber fein“ wollte, sind das schon ganz schöne Mengen täglich, die wir herstellen.“
Das Isentaler hat beinahe Kultstatus erreicht, oft bekommt man schon um 14, 15 Uhr keines mehr – alles weg!
MANCHES BEHALTEN,VIELES ERNEUERT
Bäckerei und Laden der Angermaiers haben sie komplett überarbeitet. Behalten haben sie das komplette Personal im Laden und in der Backstube ebenso die meisten Maschinen. Auf Grund des großen Erfolgs wurden inzwischen sogar zusätzliche Verkäuferinnen und ein Bäckermeister eingestellt. „Mein nächstes Ziel ist irgendwann noch ein Holzofen, da schmecken die Brote nochmal anders.“ Laden und Café hat ein Freund nach ihren Vorstellungen gefertigt: geräucherte, gebürstete und lackierte Eiche in schwarz-oliv.
LANGE GÄRUNG, AUSGESUCHTE ROHSTOFFE
David ist traditioneller Bäcker mit ganz vielen Ideen. Sein Werbespruch lautet daher nicht grundlos „Mit Laib und Seele“. Lange Teigführung ist für ihn selbstverständlich, viele Teige setzt er am Abend an und lässt sie über Nacht gehen. „Daher bin ich auch am Sonntag in der Backstube und bereite die Teige für den Montag vor.“
Neben der langen Gärzeit ist ihm die Herkunft und Qualität seiner Mehle ein ganz wichtiges Anliegen. Er verwendet sämtliche Getreidesorten, möglichst von regionalen Müllern. In großen Behältern sind selbst gemixte Multikornmischungen, geröstete Kürbiskerne, Leinsamen, Kümmel und Brotgewürz. Daneben in einem Eimerchen, in dem ein breiter Pinsel steckt, eine flüssige Pfeffermischung, „das liegt momentan voll im Trend: Pfeffer-Brezn oder –Baguette.“
SO PASST ES
Wichtig ist David in der Selbstständigkeit, dass er nicht mehr ab Mitternacht, sondern meistens erst ab 3 Uhr morgens in der Backstube steht. Dann wird mit Vollgas gewerkelt bis 11 Uhr, anschließend geht er heim zum Schlafen. „Wenn meine beiden Kinder am Nachmittag vom Kindergarten und der Schule zu Hause sind, da habe ich Zeit für sie, so wollte ich das!“ Er ist zufrieden, plant weder eine weitere Filiale noch die Belieferung von ‘zig Geschäften. Die Metzger im Ort werden gerne versorgt, außerdem holen sich einige Caterer und Gaststätten seine Spezialitäten. Bei Festen im Ort freut er sich große Brezn zu backen, „aber Volksfeste will ich gar nicht beliefern. So wie es ist, ist es gut. Die Leute sind von unserer Qualität begeistert und wir können gut leben“, sagt David zufrieden. Auch Christine ist glücklich wie es läuft, die ehemalige Bankerin hat lange gezögert, den langjährigen, geliebten Job im Marketing voll gegen die Bäckerei zu tauschen. „Aber es passt so und ich habe nochmal eine tolle neue Aufgabe bekommen.“