Archäologie in Stadt und Landkreis Erding 2020 in Zeiten von Corona
Erstmals in der 11-jährigen Vereinsgeschichte gab es in diesem Jahr keinen archäologischen Neujahrsempfang im Museum Erding, auch die 10-Jahres-Vereinsfeier fiel dem Virus zum Opfer. Fest eingeplant ist jedoch die Vereinschronik des AVE e.V. für Sommer 2021. Das bedeutet jedoch nicht, dass der AVE untätig war: Vorträge im Frühjahr, Jahreshauptversammlung, vereinzelt Stammtische sowie eine „corona-conform“ Herbstexkursion.
Forschungsarbeiten im Museums-Lockdown
Mi Bestnote schloss AVE-Mitglied Marc Miltz seine Dissertation an der LMU München zum „Merowingerzeitlichen Herren- und karolingischen Königshof von Altenerding“ ab, seine Doktorarbeit wird in wenigen Wochen erscheinen und herausragende Impulse in die lokale, regionale und überregionale Forschungslandschaft des Frühmittelalters aussenden. Als weiteres Thema zu Erdings Frühgeschichte und des von der Stadt Erding finanzierten Forschungsprojekts „Erding im ersten Jahrtausend“ steht beispielsweise das frühmittelalterliche Reiterinnen-Grab mit Sattel von Aufhausen-Bergham, das 1996 geborgen werden konnte und im Museum Erding ausgestellt ist. Der Lockdown im Museum Erding wurde dazu genutzt, die Funde temporär aus den Vitrinen zu nehmen und der wissenschaftlichen Bearbeitung durch Johannes Mandl M.A. bereitzustellen. Zudem werden die Forschungen rund um den frühbronzezeitlichen Spangenbarrenhort von Oberding für eine Publikation zusammengeführt.
„Schulfach“ Museum
Im Sommer wurde einem Latein P-Seminar des Anne-Frank-Gymnasiums der Archäologie-Preis Schule verliehen. Die Schülerinnen und Schüler hatten ein Brettspiel – inhaltlich an die archäologischen Funde aus sieben Jahrtausenden im Museum Erding angelehnt – konzipiert und realisiert. Das Spiel steht nun für zukünftige museumspädagogische Aktionen für Schulklassen im Museum Erding zur Verfügung.
Im Boden unterwegs
Dem enormen Flächenverbrauch im Raum Erding geschuldet, fanden2020 zahlreiche bauvorgreifende archäologische Untersuchungen etwa in Oberding, Zustorf, Langenpreising und in nahezu allen Ortsteilen von Erding statt. Neben Großgrabungen für Neubaugebiete, Gewerbeflächen und Kiesabbauareale fanden auch kleinere archäologische Maßnahmen für private Bauvorhaben statt. Unterstützt durch ehrenamtliche Mitglieder des Archäologischen Arbeitskreises sowie des AVE e.V., konnten die Grabungskosten für die Bauherren spürbar reduziert werden.
Teils spektakulär waren die Grabungen im zukünftigen Gewerbegebiet in Erdings Westen südlich der Dachauer Straße. Hier wurden Siedlungsspuren wie Hausgrundrisse, Abfallgruben, Grabenwerke sowie Gräberfelder aus einer Zeitspanne von knapp 6.000 Jahren freigelegt – von der Jungsteinzeit bis hin zu den Römern. Bemerkenswert ist ein großer Friedhof mit über 40 Bestattungen, das den Übergang von Glockenbecherkultur hin zur Frühbronzezeit (ca. 2.400 – 2.100 v. Chr.) markiert.
Im Neubaugebiet am Poststadel kamen mehrere römische Brunnen zu Tage – mit bester Holzerhaltung unter Grundwassereinfluss, die aufgrund der darin gefundenen Keramik im Zeitraum 100-230 n. Chr. geschlagen worden sein dürften. Sie lassen ein bislang unentdecktes römisches Gehöft, eine villa rustica, im unmittelbaren Nahbereich am Fuße des Rotkreuzbergs vermuten.
Schließlich wurden, allerdings auf Kosten des Kiesgrubenbesitzers und Stadtrats Josef Kaiser, im Zuge der Langengeislinger Kiesgrubenerweiterung weitere Fundamente von römischen Tuffsteingebäuden – teilweise mit Fußbodenheizung – aufgedeckt und vor ihrer finalen Zerstörung dokumentiert. Seit Jahren begleiten dort die Archäologen die großflächigen Bodeneingriffe innerhalb eines einstigen römischen Bauernhofs, einer villa rustica mit eigenem, kleinen Thermengebäude. Die Funde aus Metall und Keramik werden aktuell im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege konservatorisch in den Restaurierungswerkstätten erstversorgt, bevor sie an den Eigentümer zum Verbleib in Privatbesitz zurückgegeben werden.
Dringende Reformierung des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes
Der „Fall Kiesgrube Kaiser“ steht beispielhaft für den Unmut, der sich seit der Privatisierung der Grabungstätigkeit Mitte der 1990er Jahre bei unzähligen Bauherren in Bayern breitmacht – egal ob von privater, kommunaler oder unternehmerischer Seite. Ein fehlender Entschädigungsfond seitens des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege und des Freistaats Bayern macht hier der Akzeptanz von Archäologie und Bodendenkmalpflege zunehmend zu schaffen und stellt deren Sinnhaftigkeit in Frage. Denn es sind die Bauherren, die größtenteils auf den Grabungskosten „sitzen bleiben“. Gerade in gesamtgesellschaftlichen Krisenzeiten, wie der aktuellen Corona-Pandemie, sollte diesbezüglich „nach vorne gedacht werden“, so Museumsleiter Harald Krause, die Verhältnismäßigkeit überprüft und mittel- bis langfristig Abhilfe geschaffen werden. Eine Novellierung des 1973 verabschiedeten Bayerischen Denkmalschutzgesetzes tut hier dringend Not. Und dies nicht nur mit Blick auf die teilweise immensen Grabungskosten, sondern auch mit Blick auf den Fundverbleib und das Eigentum – das, so meine Meinung, zukünftig als kulturelles Allgemeingut verstanden werden sollte. Die Gesetzgebungen nahezu aller anderen Bundesländer in der BRD können hier durchaus inspirierend wirken und auch für Bayern Pate stehen. Die Corona-Krise böte eine Chance, um Althergebrachtes zu überdenken und neu zu bewerten. Das sei man der gemeinsamen Vergangenheit schuldig, auch wenn diese Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zurückliegt. „Denn aus der sind wir schließlich alle hervorgegangen und ihre Spuren und Zeugnisse gilt es für die Nachwelt bei drohender Zerstörung durch Ausgrabung zu retten.“