Für Senioren ist das Freischalten einer Handy-Karte annähernd unmöglich
Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass lediglich 15 Prozent der über 65 Jahre alten Menschen digitale Totalverweigerer sind. Sie wollen mit Smartphone, Computer oder ähnlichem nichts zu tun haben. Trotz Corona und dem für viele Senioren fast als Weggesperrtsein empfundenen Maßnahmen nehmen „nur“ 49 Prozent regelmäßig am digitalen Leben mit Video-Telefonie, Online-Einkaufen oder dem Lesen von Online-Nachrichten teil. Es bleibt eine sehr große Gruppe an Senioren, die gerne digital unterwegs wäre, dies aber nicht kann, weil sie niemanden haben, der ihnen auf dem Weg dorthin oder bei Problemen hilft.
FRED hat Senior Hans, 72, geholfen und kann es nur bestätigen, dass es nicht am Willen, sondern an den zu bewältigenden Hürden liegen kann:
Hans hatte vor vier Jahren einen Schlaganfall, spricht seither etwas schwer, hört nicht immer gut, hat sich mit viel Fleiß und sportlicher Betätigung aber wieder zurückgekämpft aus seinem teilgelähmten ins echte Leben. Er hat ein Smartphone und möchte von E-Plus zu Vodafone wechseln, die „CallYa“-Karte kaufte er für 15 Euro bei Edeka.
Im Gegensatz zu früher, als man die neue Karte einfach ins Gerät einsteckt, den freigerubbelten PIN eingibt und es konnte losgehen mit der Telefonie, muss sich jeder Nutzer einer Prepaid-Karte seit September 2019 eindeutig identifizieren. Diese Freischaltung seiner Karte versuchte Hans mehrfach selbst, dann bei Edeka, da bemühten sich eine Verkäuferin und sogar der Filialleiter. Ein anderes Mal suchte Hans ein Mitarbeiter von Vodafone auf, der aber nach wenigen Minuten ein Bezahlgerät zückte, Hans sollte noch einmal bezahlen, was der ablehnte. Und so ist Hans seit Monaten nicht zu erreichen, Festnetz hat er nicht, Computer auch keinen. Doch er ist nicht nur nicht erreichbar, sondern Hans hat auch keine Möglichkeit Hilfe zu holen, falls ihm noch einmal etwas passiert.
Also machen wir uns gemeinsam an das Freischalten, Freitag, 11.30 Uhr, erster Versuch: Wie soll sich Hans anmelden? Mit seinem eigenen Handy erfährt man im Begleittext zur Freischaltung (natürlich im Internet und nicht auf dem kleinen Zettelchen, das der SIM-Karte beiliegt), geht es nicht. Denn er kann sich schlecht auf die „Selbstregistrierungsseite“ einwählen, solange seine Karte nicht freigeschaltet ist, die ja zudem eine „CallYa“-Karte ist, rein zum Telefonieren. Einen Laptop oder PC mit Kamera hat Hans aber nicht. Also nutzen wir mein Smartphone.
Die Daten von Hans – Name, Adresse, Geburtsdatum, die SIM-Karten-Nummer und die Telefonnummer sind rasch eingegeben. Doch nun benötigt Hans eine email-Adresse, damit der Anbieter die Anmeldung bestätigen kann. Auch das hat Hans nicht – also nehmen wir auch da eine von meinen Adressen. So, nun muss sich Hans nur noch eindeutig identifizieren, dann ist er wieder telefonisch erreichbar. Auf Knopfdruck öffnet sich ein Werbevideo, das haarklein die Identifizierung erklärt, Dauer etwa fünf bis sechs Minuten, sehr verständlich und deutlich. Kurz vor Ende des Videos, das noch einige andere Vodafone-Produkte ausführlich erwähnt, sagt die junge Dame, dass der Andrang zur Identifizierung sehr hoch sei und coronabedingt kurze Wartezeiten, „so etwa vier bis fünf Minuten“ anfallen. Hans ist zwar schon ein bisschen unruhig, aber nachdem er jetzt schon Monate ohne Telefon lebt, kommt es auf fünf Minuten auch nicht mehr an. Wir warten, zehn, 15, 20, 25 Minuten, immer wieder der Hinweis, dass es zu kurzen Wartezeiten kommen kann und natürlich regelmäßig Werbung. Endlich, nach einer guten halben Stunde werden wir mit einer jungen Dame verbunden – doch leider ist die plötzlich so leise und so gut wie nicht zu verstehen, dass es Hans und mir sehr schwerfällt, ihr zu folgen. Auch mehrere Bitten von Hans, dass sie doch lauter sprechen müsste, weil er seit seinem Schlaganfall gehandicapt sei, ändert nichts. Lautes Werbevideo, kaum zu verstehende Identifikation. Nach gut zehn Minuten verständnislosem Hin- und Hergebrülle gibt die junge Dame auf.
Zweiter Versuch, Freitag, 12.30 Uhr. Die Grundeingaben haben wir ja schon, können gleich zum Anruf der Identifikation. Wieder das gleiche Spiel: ausführliche Erklärung, Werbung, Hinweis auf „vier bis fünf Minuten Wartezeit“, die dauern wieder 25 Minuten mit viel Werbung – alles laut, klar und deutlich. Dann meldet sich ein junger Mann, doch auch er wieder extrem leise. Dieses Mal wollen wir uns nicht wieder von der Lautstärke abwimmeln lassen. Er begrüßt Hans, fragt ihn, ob er einverstanden ist mit der Aufzeichnung, dann geht’s los: Name? Geburtsdatum? Bearbeitungsnummer (die hatten wir bei der Anmeldung erhalten)? Warum er sich anmelden will? Für welchen Dienst? E-Mail-Adresse? Die kennt Hans natürlich nicht, weil es ja meine ist, also flüstere ich sie ihm ein. Das passt unserem „Identifikator“ aber gar nicht und er bricht das Prozedere ab. „Es darf niemand außer Hans zu hören oder zu sehen sein, sonst geht es nicht“, weist er Hans hin.
Also schreibe ich Hans alles auf, dass der es ablesen kann. Also alles wieder von vorne: Name, Geburtsdatum, Bearbeitungsnummer, email-Adresse, warum anmelden, für was? Alles klappt, doch dann will der Gesprächspartner, dass Hans auf die Kamera auf der Rückseite meines Smartphones schaltet. Das weiß Hans natürlich nicht, also muss ich eingreifen, komme wieder ins Bild – erneuter Abbruch!
Das ist unserem Vodafone-Identifikator zu viel und er wimmelt uns ab. „Es gibt einen zweiten Identifikations-Dienst, „MyWebID“, nehmen Sie den, da geht es einfacher. Tschüss!“ und weg ist er. Nach gut zwei Stunden keine Anmeldung, keine Identifikation.
Hans ist entnervt und enttäuscht, „ich will doch bloß im Notfall telefonieren. Das gibt’s doch einfach nicht.“
Ein Anruf bei „MyWebID“ beschert uns dann zwar sofort wieder den Hinweis auf coronabedingte lange Wartezeiten – aber man könnte einen festen Termin vereinbaren. Das machen wir und erhalten für den nächsten Tag um 18.15 Uhr eine Anrufzeit. Jetzt wollen wir es aber endlich wissen!
Dritter Versuch, Samstag, 18.15 Uhr: Tatsächlich meldet sich schon nach dem zweiten Klingeln ein junger Mann, dieses Mal laut und deutlich, gut verständlich. Hans ist instruiert, dass ich auf keinen Fall auftauchen darf. Schnell haben wir wieder die Standardfragen hinter uns: Einverstanden mit der Aufzeichnung, Bearbeitungsnummer, Geburtstag und -ort, seine Handy-Nummer und email-Adresse, warum er sich und für was identifizieren lassen will. Doch dann geht’s ins Eingemachte. Hans soll die Kamera auf dem Smartphone umschalten auf die Rückkamera (haben wir geübt, klappt), nun seinen Ausweis zeigen, mit ihm wackeln. Vorderseite, Rückseite, wackeln. Der Junge Mann ist sehr nett und freundlich, immer wieder sein Kommando: „Ich muss Sie im Bild sehen während Sie mit dem Ausweis wackeln!“ Für Hans fast unmöglich. Dann soll er ans Fensterbrett, wegen der Beleuchtung, den Ausweis hinlegen, mit der Hand durchs Bild fahren, mit den Fingern wackeln, „ich muss Sie sehen!“, ruft der junge Mann. Gleiches Spiel mit der Rückseite des Ausweises, hinlegen, Finger durchs Bild, gleichzeitig soll Hans irgendwie sichtbar sein. Ein Ding der Unmöglichkeit – für Gesunde ebenso wie für einen älteren Mann, der nicht voll vom Schlaganfall genesen ist. Wieder an den Tisch setzen, Ausweis zeigen, wackeln, „bitte neben dem Gesicht, Finger durchs Bild ziehen und sagen Sie etwas, dass ich Sie sehe!“ Das ist wirklich kaum zu schaffen.
Nach gut 15 Minuten hat die Prozedur ein Ende, „ich prüfe mal schnell, ob ich alles habe oder ob wir noch etwas brauchen“, hören wir aus dem Handy. Dann die Erlösung: „Passt alles, in spätestens 24 Stunden ist alles freigeschaltet, vielen Dank und Tschüss.“
Schon zwei Stunden später hat das Telefonieren bei Hans funktioniert – aber ist das wirklich noch normal, so eine aufwändige Prüfung für das Freischalten einer Telefonkarte? Niemals hätte Hans das alleine geschafft und er wäre immer noch kontaktlos.